Gelände

3. April 2017 Aus Von Viviane

Sonntagsritte im Gelände -für uns waren es die schönsten Morgende, als wir über Felder, Wiesen und Waldwege fetzten.

Wo heute alles mit neuen Häusern, Fabriken oder sonstigen Dingen zugebaut ist, veranstalteten wir die tollsten Pferderennen, die ich so schnell nicht vergessen werde. Damals war es mir egal wie schnell wir über die Wege flogen und wie viel Dreck in meinem Gesicht landete, denn es waren die Besten Momente – dieses Gefühl von Freiheit kann niemand so verspüren, der noch nie auf einem Pferderücken über Wiesen gejagt ist.

Wieso ich gerade eine sehr lange Einleitung geschrieben habe, hat den einfachen Grund, dass ich immer nur schöne Erfahrungen mit meinem Papa im Gelände gemacht habe. Jeden Sonntag freute ich mich aufs Neue mit ihm auszureiten und mir den Wind um die Nase wehen zu lassen.

Bis zu dem Tag, als sich meine Einstellung zum Geländereiten schlagartig änderte.

Wieder ist es ein Sonntagmorgen. Strahlend blauer Himmel und wie immer wollten wir den Tag mit einem Ausritt beginnen. Diesmal in Begleitung einer Freundin und ihrem Pferd. Ich weiß noch, wie wir unserem Schimmel die Mähne noch schön geschnitten hatten und den Schopf ein wenig kürzten. Dann ging es los – wir lachten viel, planten mit Papa unsere Route.

Mitten auf der Trabstrecke drehte sie sich einfach um und wollte wieder Richtung Heimat. Ich muss sagen – bei unserem Schimmel hatte ich immer die große Bremse drauf – ohne Pelham war ich verloren mit meinen 10 Jahren und 25 kg Fliegengewicht. Sie hat immer sehr fein reagiert und hat auf mich aufgepasst. Mit dem plötzlichen Umdrehen hat niemand gerechnet und so steckten wir mich in die Mitte unserer Gruppe. Papa mit Lola vorne, dann ich und Hannah kam zuletzt. Wir ritten lange so weiter, mein komisches Gefühl blieb und wurde auch nach unserer letzten Galoppstrecke nicht besser. Eine unserer liebsten Waldwege, die waren wir sonst zuvor immer hochgedonnert wie die wilden. Sie war triebig, zog nicht voran und kämpfte sich auch nicht an den anderen beiden vorbei. Ich sagte noch zu Papa, dass der Tag heute wirklich komisch ist und wir vielleicht nicht hätten den schönen Schopf abschneiden sollen. Vielleicht haben wir ihr eine Glückssträhne abgeschnitten.

Auf unserer Route im Gelände haben wir bereits einige kleine Gräben überwunden.

Bis auf den einen. Ich habe es noch genau vor Augen: Mein Papa ist mit Lola zuerst über den Graben. Dieser war vielleicht einen Schritt breit und wirklich kein weltbewegendes Hindernis. Dann kam ich an die Reihe und auch wir kamen ohne Probleme im Old English Style (hinter der Bewegung) über den Graben. Hannah’s Pferd hatte die Gräben zuvor ohne Probleme überwunden, also wunderten wir uns, dass er an diesem ein riesen großes Theater veranstaltete. Obwohl mein Papa und ich mit unseren Pferden bereits auf der anderen Seite gewesen waren, wollte er nicht auf die andere Seite kommen.

Dann ging alles ganz schnell.

Sly bekam plötzlich einen regelrechten Rappel, stürmte wie vom Blitz getroffen los und an Anhalten war nicht mehr zu denken. Ich versuchte sie in das Maisfeld zu lenken – vergeblich. Sie machte ihren Hals steif und reagierte auf nichts mehr. Ich kann euch nur noch aus der Sicht meines Papa’s weiter erzählen, denn ich weiß ab diesem Zeitpunkt nichts mehr.

Mein Papa hat versucht mich vom Pferd zu holen – wohlgemerkt in dem gleichen Tempo, wie unser Schimmel rannte – versuchte er mich mit Lola einzuholen. Aber es half alles nichts: Die Bundesstraße sollte unser Verhängnis werden. Sly hatte die Wahl zwischen Abbiegen und die Bundesstraße hochzurennen oder zu springen (was eine noch schlechtere Idee gewesen ist). Hinter der Leitplanke befand sich ein Graben, danach ein asphaltierter Fußgängerweg und danach eine Böschung. Sie entschied sich abzuwenden. Ich weiß nicht, ob ich zum Glück sagen soll, aber diese Entscheidung hat uns beiden das Leben gerettet. Ihre Hufe verloren durch die Eisen den Halt auf dem Asphalt und so rutschten wir ungebremst und mit voller Wucht unter die Leitplanke. Sly und ich steckten gemeinsam fest.

Laut meinem Papa war alles Totenstille. Keiner von uns bewegte sich. Mein Papa dachte, wir seien beide tot.

Er sprang von Lola ab – ließ sie stehen und zerrte mich unter meinem Pferd heraus. Sly bewegte sich keinen Meter – bis ich außer der Gefahrenzone war. Erst dann strampelte sie sich frei und raste voller Panik die Straße hinauf. Hannah hinter her. Eingefangen standen wir nur noch zu zweit mitten auf dem Feld. Mein Papa ritt im vollen Galopp wieder Richtung Stall, telefonierte inzwischen mit unserem Tierarzt. Aus irgendeinem Grund hatten wir unser Auto mit Anhängerkupplung dabei. Kaum am Stall angekommen wurde Papa schon von mehreren Leuten empfangen, die ihm sein Pferd abgenommen haben. Innerhalb von Sekunden war der Hänger angehangen und so schnell wie er konnte, machte er sich auf den Weg zurück zu uns.

Inzwischen kam unser Tierarzt und wartete bereits am Stall auf uns. Es sah furchtbar aus und auch die Verletzungen waren so schlimm, dass wir dachten, es sei vorbei. Zum Glück stellte sich schnell heraus, dass alle Verletzungen nur äußerlich waren und alles genäht werden konnte.

Von all dem was ab dem Zeitpunkt, wo sie losgerannt ist, weiß ich nichts mehr.

Ich bin dem Schutzengel, der uns die ganze Zeit über begleitet hat, auf ewig dankbar. Ohne ihn wären wir nicht mehr am Leben. Heute steht Sly als Rentnerin auf der Koppel und genießt ein sorgenfreies Leben.

Ich möchte eins noch loswerden: Hätte ich nicht meine Schutzweste und meinen Helm angehabt, hätte es sehr schlecht für mich ausgesehen. Ich hätte durch den Sturz sterben können. Mein Helm war in der Mitte durchgebrochen und meine Weste war komplett zerrissen.

Es ist so wichtig, dass ihr euren Kopf schützt! Bitte vergesst niemals, dass er euer Leben retten kann! Niemand kann euren Kopf ersetzen und niemand kann euch ein neues Leben schenken, wenn es einmal vorbei ist.

Vielleicht verstehen nun einige Menschen, weshalb ich so eine Angst habe im Gelände zu reiten. Sobald es schneller als Trab wird, oder ich das Gefühl habe, gleich wird es unkontrolliert – bekomme ich panische Angst und steige ab.

Wir haben es direkt nach diesem Unfall versucht, mich wieder aufs Pferd zu bekommen und ins Gelände zu reiten. Bis heute sitzt diese Angst und ich traue mich nicht weiter weg, als eine Runde um den Hof zu reiten.

Um so stolzer bin ich dann auf mich, wenn ich an einem ganz besonders mutigen Tag getrabt bin. Das sind für mich riesengroße Erfolge, auf die ich wirklich stolz bin.

12 Jahre nach dem Unfall.