ein 6er im Lotto

ein 6er im Lotto

16. November 2018 Aus Von Viviane

Das Einzige was mir im Moment die größten Bauchschmerzen bereitet, ist das schlechte Gewissen meinem Pferd gegenüber. Jahrelang habe ich ihn als „nicht das Pferd mit der richtigen Arbeitseinstellung“ betitelt. Klingt im ersten Moment nach einer plausiblen Aussage, die sich unterm Sattel irgendwie in anderen unwissenden Augen bestätigte. Warum sage ich „unwissenden“?  Nun ja: Es gibt die Sorte von Pferden, die ihren innerlichen Schmerz nicht zeigen bis zu einem bestimmten Punkt. Erst wenn es nicht mehr geht melden sie sich, indem sie entweder anfangen zu buckeln oder zu steigen. Conrado tat nichts dergleichen. Er lief eigentlich die meiste Zeit brav und wenn er sich meldete, dann ging er nur rückwärts oder drehte sich um sich selbst. „Das darfst du ihm nicht durchgehen lassen. Setz dich durch…“ Worte die mich über einen längeren Zeitraum begleiteten. Aber eigentlich dachte ich immer, dass mit diesem Tier was nicht stimmt oder seine Vergangenheit ihn immer wieder einholt. Ich weiß nicht was dieses Pferd alles schon erlebt hat, aber ich weiß, dass es einiges und wenig positives gewesen sein muss. Jeder lag falsch. Jeder einzelne Mensch, der unseren Weg bisher begleitet hat. Außer meine alte Trainerin aus Australien. Sie sagte von Anfang an, dass etwas nicht mit Conrado stimmt. Aber wieso sollte man auf eine Meinung hören, die von 10 anderen abweicht?

Seit dem gestrigen Gespräch mit der Tierklinik weiß ich, dass mein Conrado ein Herz aus Gold hat. Eigentlich müsste er mich aus dem tiefsten seines inneren hassen. So viel Unrecht und Schmerz  wie ich diesem Tier angetan habe, müsste er mir täglich vor die Füße spucken. Er kann nichts dafür, dass er sich nicht in einer korrekten Aufrichtung tragen kann und somit immer auf der Vorhand läuft. Denn ein steifer Hals kann keine Biegung zu lassen – geschweige denn, eine Anlehnung. Conrado hat eine hochgradige Veränderung in der Halswirbelsäule zwischen dem 5. 6. und 7. Wirbel. Genauer gesagt ist das Facettengelenk am 6. HW beschädigt. Wer meine Bilder und Videos kennt, der weiß, dass Conrado nie den höchsten Punkt in der Anlehnung erreicht hat und auch immer etwas nach vorne gelehnt läuft. Aber wie sollte er auch anders, wenn der Versuch ihn in korrekter Haltung zu reiten, starke Schmerzen verursacht? Er hat sich eine gewisse Schonhaltung angeeignet, die ihm das Laufen „durchs Genick“ erträglicher macht. Dadurch wird die Hinterhand vernachlässigt, denn nur in der Zusammenarbeit mit einer aktiven Hinterhand kann das Genick hochkommen. Eine Versammlung ist für ihn Schwerstarbeit und sehr unangenehm. Ich könnte mich für jeden Tag an dem ich ihn angemeckert, zu Unrecht verurteilt oder sogar gezwungen habe in dieser Art und Weise zu laufen, Ohrfeigen. Wie viel Leid kann ein Tier aushalten, ohne seinem Menschen etwas Böses zu wollen. Wieso ist Leben so ungerecht, dass sie sich nicht weiter äußern können? Ich stelle mich in diesem Beitrag selbst an den Pranger und weiß, dass ich Fehler meinem Pferd gegenüber gemacht habe. Trotzdem ist es nicht so, dass ich gar nichts getan habe. Mein Tierarzt und ich wir sind inzwischen per „Du“. Gemeinsam sind wir auf Ursachenforschung gegangen und erst durch das Szintigramm und bestimmte Winkel beim Röntgen, haben wir schlussendlich herausgefunden, was das Tier hat. Leider habe ich den Röntgenblick noch nicht erfunden und kann mich einfach nur bei ihm entschuldigen, indem ich jetzt alles tue, was möglich ist, um ihm ein schmerzfreieres Leben zu ermöglichen. Ein Pferd verhält sich nicht einfach so „schlecht“ oder in unseren Augen nicht richtig. Es steckt immer ein Grund dahinter. Die Therapie wird wie ein 6er im Lotto sein, denn wir wissen nicht, ob das Cortison anschlägt oder nicht. Zumindest in Hinsicht auf den Reitsport. Conrado wird trotzdem nicht gehen, er bleibt bis wir entscheiden, dass es keinen Sinn hat und das Pferd ohne Schmerzen nicht mal als Koppelkind leben kann. Eine schwere und trotzdem klare Entscheidung. Alles weitere ist reiner Egoismus. Wir werden alles probieren ihn schmerzfrei weiterleben zu lassen. Das hat er sich verdient, nicht weil er ein Pferd ist, was ein Recht auf Leben hat, sondern weil wir ihm das schuldig sind. Er ist immer brav gewesen und hat uns auf seinem Rücken erduldet. Er ist ein herzensgutes Tier, was ich seit gestern besser weiß, als ich bisher dachte.